08. Mai 1945 Tag der Befreiung – ein Tag zum Feiern

Wir wollen am 8. Mai mit euch die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht ausgelassen feiern. Mit von der Partie werden einige DJ_anes sein, die auf der Demo für die musikalische Untermalung sorgen. Allerdings gibt es mehr als genug Kritik am Verhalten des deutschen Staates und allen möglichen politischen Akteur_innen im Umgang mit dem 8. Mai 1945.

Kapitulation und historische Verantwortung

Die deutsche Wehrmacht kapitulierte angesichts der fast vollständigen Zerschlagung durch Alliierte, Partisan_innen und Widerstandsgruppen. Bereits acht Tage vorher hatte sich Hitler und ein Großteil der noch lebenden NS-Führungsriege in Berlin umgebracht. Deutschland wurde in vier Verwaltungssektoren aufgeteilt, schrittweise begannen Entnazifizierung, Entmilitarisierung, Demokratisierung und Dezentralisierung. Die Realisierung einer antisemitischen, rassistischen, deutschen Weltmacht war zerstört.

Die militärische Niederlage des Regimes kann allerdings nicht als eine Befreiung des „deutschen Volkes“ vom nationalsozialistischen Geist gedeutet werden. Wer damals befreit wurde, sind all diejenigen, die nicht Teil der „deutschen Rasse“ sein sollten oder wollten. Über 12 Jahre lang hatte sich eine Mehrheit der Deutschen als Hitlers Fußvolk an Jüd_innen, Sinti und Roma, Sozialdemokrat_innen, Kommunist_innen, Homosexuellen und vielen anderen ausgelassen. Als Täter_innen und überzeugte Unterstützer_innen in Vernichtungs- und Konzentrationslagern, als Teil der Gestapo, von Polizei-Bataillonen und der SS hatten sie mehrere Millionen Menschen auf grausamste Weise ermordet. Der gesamte deutsche Angriffskrieg kostete etwa 55,5 Millionen Menschen das Leben.

Jede[r] Deutsche trägt unabhängig von Ideologie, eine spezifische Verantwortung, die in dem Massenmord wurzelt, den die Deutschen [vor und] während des Zweiten Weltkrieges an Millionen Menschen begangen haben. Das ist keine Kollektivschuld, die an die jüngeren Generationen weitergegeben wird, sondern eine kollektive moralische und historische Verantwortung!“1 – Beate Klarsfeld, Frankreich

Wir Feiern da, wo uns keine_r haben will?

Der 8. Mai ist aus dem Gedächtnis der Stadt verschwunden. Auch die Straße der Befreiung wurde nach dem Ende der DDR wieder in „Hauptstraße“ umbenannt. Das Denkmal für die Rote Armee wurde vom Albertplatz in die Peripherie versetzt. Große Veranstaltungen wie alljährlich zum 13. Februar finden nicht statt. Die aktuelle Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt Dresden wird nur im Zusammenhang mit der Bombardierung Dresdens und der Darstellung als Opfer des Krieges deutlich. Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Frauenkirche. Nach 1945 sollte die Ruine der Kirche als Mahnmal die Kulisse Dresdens komplettieren. Durch den Wiederaufbau der Frauenkirche ab 1994 und die historisch anmutenden Neubauten am Neumarkt erinnert nichts mehr an die Zeit davor. Die Frauenkirche soll nach dem Willen der Verantwortlichen als Symbol für Frieden und Versöhnung dienen. Nun kann freundlicherweise gesagt werden, dass es naiv war zu glauben, dass der Neubau einen symbolischen Charakter versprüht oder es wird von Geschichtsrevisionismus gesprochen. Gerade wenn von Frieden gesprochen wird, sollten die Umstände, die zum Krieg und zur Bombardierung deutscher Städte führten, näher beleuchtet und die Täter_innen auch in der eigenen Stadt benannt werden.

In der Ausstellung im Unterbau der Frauenkirche wird die NS-Zeit auf einen einzelnen Satz, dass Deutschland den Krieg entfesselte, reduziert. Kein Wort der Reflexion oder Aufarbeitung  welche Rolle die Kirche im NS spielte.

Daher ist und bleibt diese Kirche für uns ein kitschiger Sandsteinbau auf den nette Wünsche projiziert werden und mit dessen Hilfe die Vergangenheit zum Wohle des städtischen Images ausgespart wird.

Wir wollen es uns nicht nehmen lassen in dieser rekonstruierten Stadt, in der sich keiner an die NS-Zeit erinnern will, laut und nonkonform den Tag der Befreiung zu feiern.

Der 8. Mai – ein Tag zum Feiern für Alle?

Für die Alliierten stellte der 8. bzw. 9. Mai ein Tag des Sieges dar, an dem nach US-Präsidenten Truman „Die westliche Welt von den Mächten des Bösen befreit [wurde] …“2. Doch für die Überlebenden des Nationalsozialismus, welche dem Tod nahe und ihrer Familien beraubt, ist der 8. Mai zwar das Ende des Krieges, aber kein Tag zum Feiern. Durch die Schrecken der Konzentrationslager und von dem Verlust gezeichnet, mit Alpträumen konfrontiert, desillusioniert, ohne ein zu Hause gab es für sie keinen Grund für Freude oder Erleichterung. Die Rückkehr in eine Umgebung bzw. Gesellschaft, die verantwortlich war und ist für die Verfolgung der Menschen oder eben „nur“ zu sah, kam für den Großteil der Opfer des Nationalsozialismus nicht in Frage.

…Und plötzlich kam Luszia und sagte ‘Der Krieg ist aus’. Ich erinnere mich noch an das Gefühl, ich dachte, wofür, es ist unmöglich, zu leben, es gibt ja nichts mehr. Wo waren sie denn bis jetzt? Was soll das jetzt?“3 – Miriam Akavia, Jüdin und Holocaustüberlebende

Ende gut, alles gut?

Obwohl mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht der Krieg in Deutschland vorbei war, waren jedoch die gesellschaftlichen Bedingungen des deutschen Faschismus nicht beseitigt. Im Zuge der Wiederherstellung der alten Macht- und Eigentumsverhältnisse in der Bundesrepublik wurden Nazi- und Kriegsverbrecher_innen in allen Bereichen der Gesellschaft rehabilitiert und konnten auch wieder in höchste Staats- und Verwaltungsämter zurückkehren. In den 50er und 60er Jahren wurde die historische Schuld einer gesamten Generation kollektiv geleugnet. Auch diejenigen Ideologien, die die Grundlage für den Millionenfachen Massenmord bildeten, wie Antisemitismus, Rassismus, Sexismus und Militarismus, sind 69 Jahre nach der Befreiung weiterhin gesellschaftliche Realität und damit in weiten Teilen der Bevölkerung verankert.

Derzeit zeigt sich, dass die ach so geläuterte deutsche Gesellschaft dafür durchaus empfänglich ist. Aus ihrer Mitte heraus kommt es immer wieder zu menschenverachtenden Äußerungen und Taten. Während die „Alternative für Deutschland“ (AfD) als rechtspopulistische Partei bei der Bundestagswahl 4,7 Prozent erreichte, veröffentlicht der SPDler Thilo Sarrazin4 sein zweites Buch „Der neue Tugendterror“.

Laut der Studie „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ des Institus für interdisziplinäre Gewaltforschung der Uni Bielfeld stimmten 49% der befragten Deutschen der Aussage „Es leben zu viele Ausländer in Deutschland“ „eher“ oder „voll und ganz“ zu.5 Dies zeigt sich unter anderem, wenn sich schneeberger, bautzner und leipziger Bürger_innen einig sind, dass “die Anderen”, meist marginalisierte Gruppen, an allem Schuld sind. Als sogenannter Sündenbock dürfen Flüchtlinge, Sinti und Roma und einmal mehr Jüd_innen herhalten und um ihr Leben fürchten. Laut der Jahresstatistik der Opferberatung der RAA Sachsen für 2013 ist die Zahl rechter und rassistischer Gewalt deutlich gestiegen. In Bezug auf rechtsorientierter und rechtsextremer Angriffe (absolut) liegt Dresden sachsenweit auf Platz 2.6

Die RAA Sachsen e.V. wurde Anfang der 1990er Jahre vor dem Hintergrund
zunehmender rechtsextremistischer Gewalt im Freitstaat Sachsen - nicht
zuletzt der rassistischen Übergriffe im September 1991 in Hoyerswerda
 - auf Initiative der Freudenberg Stiftung und der RAA Neue Länder
gegründet. Die Arbeit gegen Rechte Einstellungen ist seither einen
zentralen Arbeitsschwerpunkt der RAA dar.

Daher bleibt nur die fortwährende Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den aktuellen Ausgrenzungsmechanismen in der Gesellschaft, sowie deren Folgen, die Verhinderung des Verdrängens und Vergessens der Geschichte und eine ganzjährige Antifaschistische Praxis!

Wir wollen an diesem nach wie vor historisch relevanten Tag nicht im kleinen Kreis feiern, sondern lautstark durch die Stadt ziehen und mit einem antirassistischen Fussballturnier einen temporären Freiraum in Mitten der Stadt, in der nichts mehr an die NS-Vergangenheit erinnert, schaffen. Dabei ist es uns wichtig nicht nur das Feiern, sondern auch die ungebrochene Kontinuität deutscher Ausgrenzungspolitik in das Bewusstsein zu rufen.

Nur wenige Monate später wird genau in diese Innenstadt, während der Fussball-Herren-Weltmeisterschaft, zu einer No-Go-Area für Menschen, die nicht in das deutsche Einheitsdenken passen.

Dauerhaftes antifaschistisches, antirassistisches, feministisches Engagement, das sich nicht auf Symbolpolitik à la Menschenkette oder Ähnlichem ausruht, muss gefördert und ausgeweitet werden.

Grenzenlose Solidarität – Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung

 

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1 „Zeugnisse des Holocaust – Gedenken in Yad Vashem“; Hrsg.: Bella Gutterman, Avner Shalev; Seite 253

2 „Zeugnisse des Holocaust – Gedenken in Yad Vashem“; Hrsg.: Bella Gutterman, Avner Shalev; Seite 253

3 Ebd. Seite 256

4 Zum Beispiel: http://jungle-world.com/artikel/2014/09/49426.html

5 http://www.uni-bielefeld.de/ikg/projekte/GMF/Gruppenbezogene_Menschenfeindlichkeit_Zusammenfassung.pdf

6 http://www.raa-sachsen.de/statistik-detail/items/jahresstatistik-2013.html?file=tl_files/raa_sachsen/statistik/Statistik_2013.pdf